Stefan Batzli: „Zwar hat die Energiewende etwas Fahrt aufgenommen, die nötige Beschleunigung ist aber ausgeblieben. Im Gegenteil: Umweltauflagen und Wasserzins bremsen die Wasserkraft, die Windenergie kämpft gegen endlose Bewilligungsverfahren.“

Jan Flückiger: „Der Schlüssel zur Dekarbonisierung des Gesamtenergiesystems liegt in der Sektorkopplung, im Zusammenspiel der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität. Ein zentraler Baustein dafür sind Speicher.“

Energiestrategie 2050: Die Schweiz braucht ein Apollo-Programm

(SB/JF) Im Zusammenspiel mit anderen Technologien machen Speicher das Energiesystem wirtschaftlicher und zuverlässiger, die Energieversorgung breiter und die Energieverwendung flexibel und komfortabler.

Viele von uns haben es live im Fernsehen mitverfolgt. Auch für die jungen Menschen, die heute für eine neue Sicht auf unseren blauen Planeten demonstrieren, haben diese Worte eine Bedeutung: "That's one small step for a man, one giant leap for mankind." Genau das ist es, was die Umsetzung der Energiestrategie 2050 braucht: viele kleine Schritte von jedem einzelnen von uns für einen grossen Sprung zu einem neuen Energiesystem! Dieser Sprung, um das heute noch mehrheitlich fossil und nuklear basierte Energiesystem erneuerbar zu machen, hat drei Stufen: Auftrag, Zubau, Speicherung.

Der Auftrag
Alles entscheidet der politische Wille. Dieser war klar und stark, als John F. Kennedy Anfang der 60er-Jahre verkündete, dass die USA Ende des Jahrzehnts auf dem Mond landen würden. Ein Ziel, ein Wille, eine Strategie. Die Schweiz muss nicht zum Mond fliegen, sondern ihr irdisches Energiesystem nachhaltig machen: mehr erneuerbare Energien und Energieeffizienz, weniger Auslandabhängigkeit und grössere Versorgungssicherheit im Winter. Der Auftrag ist seit dem Ja zum Energiegesetz eigentlich klar. Auch das Parlament hat dem Pariser Klimaabkommen und damit einer Dekarbonisierung unserer Energieversorgung zugestimmt. Und der Bundesrat will bis 2050 eine klimaneutrale Schweiz. Wann endlich nimmt die Politik diesen Auftrag ernst? Wann erhalten wir Rahmenbedingungen, die nicht bremsen, sondern antreiben? Mit so viel Ballast wären auch die USA nie zum Mond geflogen. Bundesrätin Simonetta Sommaruga hat in einem Aussprachepapier ihre Kolleginnen und Kollegen in der Regierung auf diese Widersprüche hingewiesen – noch ohne Erfolg.

Der Zubau
Zwar hat die Energiewende etwas Fahrt aufgenommen, die nötige Beschleunigung ist aber bislang ausgeblieben. Im Gegenteil: Umweltauflagen und Wasserzins bremsen die Wasserkraft, die Windenergie kämpft gegen endlose Bewilligungsverfahren und die Geothermie steckt fest. Es hängt also an der Photovoltaik. Doch die Karte Eigenverbrauch reicht nicht, es fehlen Anreize für mittlere und grosse Anlagen. Zugleich geht die Sanierung des Gebäudeparks nur schleppend voran, die Dekarbonisierung des Verkehrs steht sogar ganz still. Ohne Anreize und Investitionssicherheit wird die Energiewende nicht abheben – obwohl wir, anders als beim Flug zum Mond, über alle Technologien verfügen und keine Menschenleben riskieren.

Die Speicherung
Der Schlüssel zur Dekarbonisierung des Gesamtenergiesystems liegt in der Sektorkopplung, im Zusammenspiel der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität. Ein zentraler Baustein dafür sind Speicher: Kurzfristspeicher zur Entlastung der Netze und Optimierung des dezentralen Verbrauchs, Langfristspeicher zum Ausgleich saisonaler Ungleichgewichte. Im Zusammenspiel mit anderen Technologien machen Speicher das Energiesystem wirtschaftlicher und zuverlässiger, die Energieversorgung breiter und die Energieverwendung flexibler und komfortabler. Um den Zubau von Speicherkapazitäten gezielt voranzutreiben, hat das Forum Energiespeicher Schweiz eine Roadmap mit drei Kernpunkten formuliert: Erstens ist die bestehende Diskriminierung alternativer Speicher gegenüber Pumpspeichern beim Netzentgelt abzuschaffen. Zweitens sollen unter dieses Gleichbehandlungsgebot alle Speicher fallen, die zur Dekarbonisierung beitragen, also auch Wärme oder synthetisches Gas speichern und wieder in das öffentliche Netz einspeisen. Drittens braucht es dynamische, engpassorientierte (Strom-)Netztarife, um das netzdienliche Verhalten von Speichern sicherzustellen und Flexibilitäten einen adäquaten Wert zu geben.

Endlich abheben
Die Schweiz will nicht zum Mond fliegen. Sie will, dass die Erde der beste Ort für die Menschen bleibt. Dafür investiert sie, wie andere Länder auch, in ein zukunftsfähiges Energiesystem. Das ist ein gigantischer Sprung für die Menschheit. Aber ein unerlässlicher und ein machbarer.

Text: Stefan Batzli, Geschäftsführer AEE Suisse und Jan Flückiger, Leiter Public Affairs bei Swisspower und Mitglied der Kerngruppe des Forums Energiespeicher Schweiz (FESS)

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