Die Studie der St. Galler Forscher zeigt, dass ein Kohleausstieg in Deutschland bis 2025 statt bis 2038 am meisten Zustimmung hat, selbst wenn dadurch Mehrkosten entstehen würden.

IWÖ St. Gallen: Schnellerer Kohleausstieg wäre in Deutschland mehrheitsfähig

(PM) Eine Studie des Instituts für Wirtschaft und Ökologie der Universität St. Gallen (IWÖ-HSG) zeigt, dass sich die deutsche Bevölkerung einen früheren Kohleausstieg wünschen würde, als ihn die von der deutschen Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission vorsieht (siehe ee-news.ch vom 14.2.2019 >> und ee-news.ch vom 29.1.2019 >>). Die Ergebnisse wurden jetzt in der internationalen Fachzeitschrift Nature Energy publiziert.


Die Analyse beruht auf einer Befragung von 2161 deutschen Wählerinnen und Wählern zu verschiedenen Varianten des Kohleausstiegs. Zusätzlich wurden je 500 Personen in den beiden Kohleregionen Rheinland und Lausitz befragt. Neben dem Zeitpunkt des Ausstiegs unterschieden sich die Szenarien, unter denen sich die Befragten entscheiden mussten, auch bezüglich der anfallenden Kosten sowie der Auswirkungen auf die Beschäftigung. Auch Kompensationsmassnahmen für die betroffenen Regionen, wie etwa Investitionen in die Infrastruktur, waren Teil der analysierten Ausstiegsszenarien. Zudem wurde untersucht, welchen Einfluss Parteipräferenzen der Wähler auf die Bevorzugung eines bestimmten Szenarios haben.

Grösste Zustimmung für Ausstieg bis 2025
Die Auswertung zeigt, dass ein Kohleausstieg bis 2025 am meisten Zustimmung erhielt, selbst wenn dadurch Mehrkosten entstehen würden. Zwar bewerten die Befragten mögliche Jobverluste negativ, die Schaffung neuer Arbeitsplätze, z. B. im Bereich der erneuerbaren Energien, wird aber vergleichsweise höher bewertet als der Wegfall von Jobs in der Kohleindustrie. In den Kohleregionen ist die Zustimmung zu einem raschen Ausstieg etwas weniger ausgeprägt als im Bundesdurchschnitt, doch auch die Befragten im Rheinland bzw. der Lausitz bewerteten ein Ende der Kohleverstromung bis 2025 bzw. 2030 am besten.

Einschätzung des wissenschaftlichen Konsenses entscheidend
Über 90 % der Klimawissenschaftler sind sich einig, dass der Klimawandel auf menschliche Emissionen zurückzuführen ist. Die HSG-Forscher konnten zeigen, dass die zutreffende Einschätzung dieses wissenschaftlichen Konsenses ein wesentlicher Faktor für den Wunsch nach einem rascheren Kohleausstieg ist. «Bei Personen, die irrtümlich denken, dass die Wissenschaft in dieser Frage noch weitgehend uneinig sei, ist die Präferenz für einen frühen Ausstieg deutlich weniger ausgeprägt», sagt Adrian Rinscheid, der die Studie zusammen mit Prof. Rolf Wüstenhagen durchgeführt hat. «Darüber hinaus zeigt unsere Analyse, dass ein baldiger Kohleausstieg nicht nur von links-grünen Wählern gewünscht wird, sondern auch bei Anhängern bürgerlicher Parteien wie CDU und FDP auf Zustimmung stösst.»

Grösster Braunkohleproduzent
Deutschland ist der weltgrösste Produzent von Braunkohle und eines der zehn grössten Kohle-Verbraucherländer. Obwohl der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung zwischen 1990 und 2018 von 3.6 Prozent auf 35.2 Prozent gestiegen ist, stammt noch immer ein Drittel der Stromerzeugung aus Kohle. Die deutsche Regierung hatte 2018 eine Expertenkommission eingesetzt, um einen Fahrplan für den Kohleausstieg zu erarbeiten. In ihrem Anfang diesen Jahres veröffentlichten Abschlussbericht schlägt die Kommission vor, dass Deutschland seine Kohlekraftwerke schrittweise bis ins Jahr 2038 stilllegen soll. Während einige Beobachter positiv hervorhoben, dass die Kommission sich auf einen Kompromiss einigen konnte (siehe ee-news.ch vom 28.1.2019 >>), kritisierten andere die Empfehlungen als ungenügend zur Erreichung der Klimaziele (siehe ee-news.ch vom 14.2.2019 >> und ee-news.ch vom 29.1.2019 >>). Die neue Studie der St. Galler Forscher zeigt nun, dass auch ein ambitionierterer Zeitplan für den Kohleausstieg in der deutschen Bevölkerung mehrheitsfähig wäre.

Adrian Rinscheid & Rolf Wüstenhagen: Germany’s decision to phase out coal by 2038 lags behind citizens‘ timing preferences. Nature Energy (2019), Studie online einsehbar in Nature Energy >>

Text: Universität St. Gallen

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1 Kommentare

Max Blatter

Eine seltsame Studie! "Mehrheitsfähig" ist noch vieles; die Frage ist, ob es objektiv möglich ist. Umgekehrt scheint manches zunächst nicht "mehrheitsfähig", ist aber objektiv zwingend notwendig. – "Mehrheitsfähigkeit" ist weder gottgegeben noch ein Gottesurteil: In einer Demokratie ist es vielmehr die Aufgabe der Politik (insbesondere der Exekutive), das Notwendige durch Überzeugungsarbeit mehrheitsfähig zu machen.

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