Eine der beiden aktuellen Bioconstruct Baustellen in Attleborough. Bild: Martin Egbert

Substratlager der Rainbarrow Farm. Bild: Martin Egbert

Mitbetreiber der Rainbarrow Farm Nick Finding hat die Entwicklung der eigenen Düngermarke massgeblich vorangetrieben. Bild: Martin Egbert

Dem öffentlichen Nahverkehr im bunten Nottingham verhilft Biogas zu einem neuen Image. Bild: Martin Egbert

Für die Mitarbeiter von Nottingham City Transport ist der Umgang mit gasbetriebenen Bussen längst Routine. Bild: Martin Egbert

Graeme Allen ist europaweit für Seab im Einsatz. Bild: Martin Egbert

Der Tanklaster kommt fast täglich auf die Rainbarrow Farm, weil die Nachfrage nach „Grünem CO2“ hoch ist. Bild: Martin Egbert

Brian Harpers Gaslaterne, betrieben mit Methan aus seinem selbst konstruierten Fermenter für Hundekot. Bild: Martin Egbert

Seab Energy bringt mit ihren Containern die Technik zum Substrat anstatt andersherum. Bild: Martin Egbert

Der 70 –jährige Elektroingenieur und Tüftler Brian Harper. Bild: Martin Egbert

Befüllung auf der Bore Hill Farm, eine der ersten Anlagen für Lebensmittelrückstände. Bild: Martin Egbert

Bereits vielfach ausgezeichnet, Thomas Minter einer der Pioniere der britischen Biogasbranche. Bild: Martin Egbert

Gary Mason hat bei Nottingham City Transport einen Grossteil der Doppeldeckerflotte auf Biomethan umgestellt. Bild: Martin Egbert

Grossbritannien: Vertane Chance im Bereich Biogas

(©KS) Grossbritannien hat Potential, ein gut ausgebautes Gasnetz und Mut zur Innovation. Doch in der Strategie der britischen Regierung gegen die Klimakrise findet Biogas kaum statt. Zudem setzen der Brexit und stark steigende Rohstoffpreise der Branche zu. Trotzdem lohnt der Blick auf die Insel.


Hecken, schmale Strassen, sanfte Hügel und grüne Wiesen, auf denen noch der Raureif einer kalten Novembernacht liegt. Cottages mit markanten Schornsteinen und anglikanische Kirchen aus Naturstein ziehen vorbei. In den Dörfern Pubs mit Namen wie The Crown, Hunter's Room oder Three Horsehoes, gepflegte Rasenflächen, Stechpalmen sowie rote Telefonzellen und Briefkästen aus Gusseisen. Der idyllische Südwesten Englands ist ein Hort britischer Tradition. Angeblich steht hier, in der Grafschaft Dorset, der ältesten Briefkasten des Vereinigten Königreichs. Eine der innovativsten Biogas-Anlagen Grossbritanniens würde man in diesem Teil des Landes nicht unbedingt erwarten.

Pionierin Rainbarrow Farm
Einfach zu finden ist die Rainbarrow Farm nicht. Sie versteckt sich in einer Senke, die aus Rücksicht auf das Landschaftsbild beim Bau ausgebaggert werden musste, so wie es auch in vielen anderen Regionen auf der Insel vorgeschrieben ist.

„Wir waren die erste Anlage mit Biogas-Aufbereitung und Einspeisung in Grossbritannien“, sagt der technische Leiter Sebastian Ganser bei der Begrüssung. Die Reinigung mit Membranen war damals ein Prototyp. Das erste Bio-Erdgas wurde am 11. Oktober 2012 eingespeist. „Heute versorgen wir im Winter 9000 Haushalte im benachbarten Poundbury, im Sommer sind es natürlich sehr viel mehr.“ Ganser blickt nickend in Richtung Norden. Stünde die Biogas-Anlage nicht in besagter Senke, könnte man dort vielleicht am Rande der Stadt Dorchester den Ortsteil Poundbury sehen.

Entworfen von Prinz Charles
Die Modellstadt aus überwiegend klassizistischen Gebäuden folgt Grundsätzen nachhaltiger Gestaltung und Entwicklung, die der britische Thronfolger Prinz Charles entworfen hat. Prinz Charles war auch massgeblich an der Entwicklung des baulichen Konzeptes beteiligt. Ein Teil davon ist die Auflage, dass mindestens 20 Prozent der in Poundbury verbrauchten Energie aus erneuerbaren Quellen stammen muss. Dank der Rainbarrow Farm sind es mittlerweile 40 Prozent, vor allem durch das Bio-Erdgas aber auch durch den überschüssigen Strom aus dem Blockheizkraftwerk der Farm, das ansonsten vor allem den Eigenbedarf der Biogas-Anlage produziert. Der Thronfolger ist auch wichtigster Anteilseigner der JV Energen, der Betreiberin der Biogas-Anlage, neben vier Farmern aus der Umgebung.

Roggen, Hafer und Lebensmittelabfällen
Von deren 1800 Hektar Land stammt das Substrat aus Roggen und Hafer als Ganzpflanzensilage sowie Mais. „Die Böden hier sind sehr kreidehaltig.“ Sebastin Ganser zeigt auf die Kante der Senke, die einen guten Blick in das Bodenprofil bietet. „Das beschränkt den Anbau von Mais.“ Anfangs bestand ein Viertel des Substrates aus Lebensmittelabfällen, unter anderem von einem Müslihersteller und einer Schokoladenmanufaktur aus der Umgebung. „Um den Methan-Ertrag zu steigern, haben wir das aber geändert, zumal die lokalen Lebensmittelproduzenten ihren Betrieb eingestellt haben“, erklärt Sebastion Ganser. Eine Tonne Lebensmittelabfälle bringt einen Ertrag von 120 Kubikmeter Biogas, der energiereiche Mais hingegen 210 Kubikmeter. Mit der Umstellung auf ausschliesslich nachwachsende Rohstoffe und einigen technischen Veränderungen konnten die Betreiber ihre Einspeiseleistung von 365 Kubikmeter pro Stunde auf 450 steigern. Seit einer Erweiterung der Anlage im vergangenen Jahr speist diese nun 650 Kubikmeter stündlich ein.


Abscheide- und Lageranlage für CO2
Wie die Idealstadt Poundbury hat auch die Biogas-Anlage der Rainbarrow Farm Modellcharakter. Das Vorantreiben grüner Ideen hat Vorrang. „Wir bringen die Anlage alle zwei bis drei Jahre auf ein neues Level - das ist sehr spannend“, sagt Ganser, der vor seiner Anstellung in Dorset vor sieben Jahren bei Agrarferm im Pfaffenhofen gearbeitet hat, dem Erbauer der Biogas-Anlage der Rainbarrow Farm. Wie zum Beweis fährt hinter Ganser ein Tanklastzug an die erst vor wenigen Monaten eröffnete Abscheide- und Lageranlage für CO2, deren blitzblanke Tanks in der Morgensonne funkeln. Auch der Beton der Rampe leuchtet noch sauber und hell. Mit einem lauten Zischen schliesst der Fahrer den Lastzug zur Befüllung an.

Rund 14 Eurocent pro kWh
Fast umgerechnet 2.4 Millionen Euro hat die CO2 Aufbereitung inklusive der Lagertanks sowie einer eigenen Zertifizierungseinheit gekostet. Die Investition soll den wirtschaftlichen Betrieb der Biogas-Anlage sichern, auch dann noch, wenn die Einspeiseförderung in 11 Jahren auslaufen wird. „Wir sind 2012 mit einer Vergütung von komfortablen 16.6 Eurocent pro kWh Bio-Erdgas gestartet“, erklärt Ganser. Eine heute ans Netz angeschlossene Anlage muss nach dem Green Gas Support Scheme der britischen Regierung mit knapp 6 Eurocent pro kWh auskommen. Auf diese 6 Eurocent kommt der aktuelle Marktpreis für Gas. Der beträgt gerade rund 8 Eurocent pro kWh. Eine neue Anlage erzielt in diesem Jahr also rund 14 Eurocent pro kWh. Damit lässst es sich leben. Letztes Jahr aber lag der Marktpreis bei gerade einmal 0,6 Eurocent pro kWh. Damit lässt es sich nicht leben. Zudem spricht für die Lagerung und Vermarktung von CO2 eine britische Regulierung, die den Klimagas-Fussabdruck der Anlagen begrenzt. In die jährliche Bilanzierung für die Regulierungsbehörde Ofgem fliessen der Dieselverbrauch der Anlieferung von Substrat ebenso ein, wie der Einsatz von Dünger – und eben auch der Ausstoss von CO2 bei der Bio-Erdgas-Aufbereitung.

Green CO2 für Cidre-Brauerei
Auch deshalb lagern und verkaufen mittlerweile von den 90 in das Erdgasnetz einspeisenden Anlagen Grossbritanniens bereits zehn ihr CO2, anstatt es in die Athmosphäre auszustossen. Die meisten davon vermarkten es als Green CO2 über den französischen Gasgiganten Air Liquide. Nicht so Rainbarrows JV Energen. Mit Biocarbonics hat das Joint Venture ein weiteres Joint Venture gegründet, um das Green CO2 direkt zu vermarkten. „Wir streben einen Club von Erzeugern von Green CO2 an“, sagt Ganser. Zurzeit versorgt Biocarbonics eine Cidre-Brauerei sowie eine Obstfarm in der Nachbarschaft, die CO2 als Dünger in ihren Gewächshäusern einsetzt.

Das in der Lebensmittelbranche vielfältig benötigte CO2 ist auf der Insel ein hochgefragtes Gut. Kürzlich scheuchten die Boulavardblätter ihre Leser mit der Ankündigung auf, dass es wegen der Knappheit an CO2 bald kein Bier mehr gebe. Der Hintergrund: CO2 ist ein Nebenprodukt der Düngemittelherstellung, die auf der Insel vor allem in zwei Fabriken stattfindet, die der US-amerikanischen Firma CF Industries gehören. Diese hatten wegen der hohen Energiepreise vorübergehend ihre Produktion an andere Standorte verlagert. Erst die Zusicherung vieler Millionen Pfund aus Steuergeldern, die genaue Summe wurde nicht bekannt gegeben, liess den Konzern die Produktion wieder aufnehmen. Der Preis für CO2 aber bleibt hoch. Zurzeit kann man 350 bis 450 Euro pro Tonne erzielen anstatt den vorher üblichen 120.„Wir haben die Anlage also zur richtigen Zeit in Betrieb genommen“, zeigt sich Sebastian Ganser zufrieden.

Reinheit von 99.7 Prozent
Pro Stunde produziert die Anlage von Biocarbonics 700 bis 750 Kilogramm Green CO2. Aufgrund seiner Reinheit von 99.7 Prozent ist dieses tauglich für den Einsatz in Lebensmitteln und nicht nur als Dünger in Gewächshäusern. Die beiden Tanks, in denen das CO2 unter einem Druck von 20 Bar bei einer Temperatur von minus 20 Grad lagert, fassen die Produktion von vier Tagen. „Viel lagern können wir also nicht“, weiss Sebastian Ganser. Müssen sie aber auch nicht. „Was nicht an die beiden festen, vertraglich gebundenen Abnehmer geht, verkaufen wir immer schnell auf dem freien Markt.“

Bloomin Amazing
Auch was Dünger angeht, hat die Rainbarrow Farm eine Alternative zu bieten. Mit einem Dünger aus den Gärresten konnten die vier Farmer auf ihren eigenen Feldern die Erträge um zwei bis vier Prozent steigern und zwei Drittel Kunstdünger einsparen. Der hohe Anteil organischer Masse verbessert nachhaltig die Böden. Als Mulch sorgt er für Feuchtigkeit. Vor allem aber hat die Rainbarrow Farm mit der Entwicklung der Dünger-Marke Bloomin Amazing ein weiteres zukunftsweisendes Produkt erarbeitet. In einem der Ställe des ehemaligen Milchviehbetriebes der Farm rattert eine Verpackungsanlage. Pro Stunde stapelt ein Roboter über 400 grünbraune Säcke a 50 Liter beziehungsweise 10 Kilogramm auf Paletten. Sie werden in Gartencentern in England, Schottland und Wales geliefert. Von den 12.000 Tonnen Gärresten pro Jahr gehen immerhin mittlerweile 3000 diesen Weg. Weitere 3000 Tonnen verkauft die Farm an ein lokales Kompostwerk.

450 Gartencenter
„Wir haben sehr viel Zeit und Geld in die Entwicklung der Marke gesteckt“, sagt Nick Finding, einer der an der Biogas-Anlage beteiligten Farmer. Finding hat die Herstellung und Vermarktung von Dünger massgeblich vorangetrieben. „Am Anfang vor drei Jahren belieferten wir drei Gartencentern, heute sind es 450, dazu zählen die Filialen der wichtigsten Ketten.“ Beim Boom geholfen hat der Trend zum Gärtnern während der Covid 19-Pandemie. Ein Sack kostet im Handel umgerechnet rund sieben Euro. Selbst wenn das nicht viel Marge verspricht, weiss Finding um den entscheidenen Vorteil: „Wir verkaufen unsere Reststoffe, anstatt sie gegen Bezahlung entsorgen zu müssen.“

Energiestrategie quasi ohne Biogas
Grossbritannien hat also vielversprechende Ansätze zu bieten. Aber nutzt das Land sein Potential für grüne Energie ausreichend? Bis 2050 will das britische Königreich klimaneutral werden, etwa indem bereits 2024 das letzte Kohlekraftwerk abgeschaltet wird. Atomstrom soll als Übergangstechnologie die Lücke schliessen. Gleichzeitig will man das „Saudi-Arabien der Windenenergie“ werden. Bis 2030 soll die aktuelle Windkraftleistung von zehn Gigawatt vervierfacht werden, vor allem durch den Ausbau der Offshore-Windkraft. Biogas kommt bisher wenig in der Strategie der konservativen Regierung vor.

Anlässlich der Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow forderte der britische Biogasverband Anaerobic Digestion and Bioresources Association (ADBA) mehr Untertützung für eine Technologie, die nach seiner Einschätzung für sechs Prozent der bis 2030 geplanten Klimagas Reduktion sorgen könnte.

Einspeisetarife gestrichen
Bislang tragen die 685 Biogas-Anlagen Grossbritanniens gerade einmal zu einem Prozent Reduktion bei. Sie produzieren 16 Terrawattstunden Biogas pro Jahr. Ein Teil wird als aufbereitetes Bio-Erdgas ins nationale Netz eingespeist, um für Wärme und Transport genutzt zu werden. Rein rechnerisch würde dieser Anteil zurzeit für 1.3 Millionen britische Haushalte ausreichen. Würde das Potential voll ausgeschöpft, liessen sich damit jedoch 6.4 Millionen Haushalte versorgen. Anstatt aber diese bereits entwickelte Technologie zu fördern, hat die britische Regierung die Einspeisetarife für Strom aus Biogas gestrichen und die für Methaneinspeisung immer weiter herunter gefahren. Auch die Verkehrsemissionen liessen sich mit Bio-Erdgas senken. Der Verkehr ist mit 27 Prozent der Sektor mit dem höchsten Anteil der Klimagasemission Grossbritanniens. LKW und Busse verantworten davon ein Fünftel. Mit Bio-Erdgas könnte dieser Anteil nach Angaben des ADBA um 38 Prozent gesenkt werden.

„Kommunen und grosse Einzelhändler nutzen bereits erfolgreich mit Biomethan betriebene Fahrzeugflotten, um ihren Betrieb zu dekarbonisieren - warum unterstützen die politischen Entscheidungsträger diese Option nicht stärker?“, fragt Charlotte Morton. Die Vorsitzende des ADBA bemängelt einen fehlenden gesetzlichen Rahmen, zu wenig Unterstützung durch Förderungen sowie Chaos in der Regierung. „Minister haben angekündigt, die Produktion von Biogas bis 2030 verdreifachen zu wollen, im akutellen Plan zur Dekarbonisierung des Transportsektors kommt Anaerobic Digestion noch nicht einmal vor.“

Bio-Erdgas betriebenen Doppeldeckerbusse
Dabei gibt es sehr erfolgreiche Beispiele. Eines lässt sich in der mittelenglischen Stadt Nottingham besichtigen. „Unsere Bio-Erdgas betriebenen Doppeldeckerbusse vermeiden 8.000 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr im Vergleich zu Diesel betriebenen Fahrzeugen der Euro Norm 6“, sagt Gary Mason, technischer Leiter von Nottingham City Transport. „Hinzu kommt die Vermeidung von 81 Tonnen Stickoxiden sowie 1,6 Tonnen Feinstaub.“ Hinter Mason herrscht reger Betrieb im Busdepot der Stadt. In dem Asphalt des Hofes sind noch alte Strassenbahnschienen auszumachen. Das Gebäude wurde 1926 gebaut. Nun stehen hier moderne Füllstationen für Bio-Erdgas und eine Anlage zur Kompression. „Das Gas kommt mit einem Druck von 25 Millibar aus dem Netz,“ erklärt Mason. „Wir komprimieren es auf 300 bar, damit die Busse eine Reichweite von 250 Meilen haben, das genügt für den Schnitt von täglich 150 Meilen.“

120 Doppeldeckerbusse
Es ist 19 Uhr. Die meisten Bus-Linien der Universitätsstadt werden nun ausgedünnt. Entsprechend viele Busse kommen zum Auftanken an eine der fünf Füllstationen. Fahrer in schwarzen Uniformen unter ihren Sicherheitswesten klettern mit müden Gesichtern aus den Bussen. Das Fahrverhalten der mit Gas betriebenen Busse sei ruhiger, berichten die meisten, was sie selbst und die Passagiere sehr zu schätzen wüssten. Die ersten Bio-Erdgas Busse hat Gary Mason 2017 in Betrieb genommen. Seit 2019 laufen 120 Doppeldeckerbusse von Nottingham City Transport damit. Im Februar 2022 kommen weitere 23 hinzu. „Dann fährt die Hälfte unserer gesamten Doppeldecker-Flotte mit grünem Gas“, freut sich Gary Mason. Nottingham ist die britische Stadt mit der grössten Biogas-Doppeldeckerflotte in Grossbritannien, dicht gefolgt von Bristol mit 100 Doppeldeckern.

Biogas wahrscheinlich deutlich günstiger
Und die Kosten? Die zum Teil von der Regierung bezuschusste Infrastruktur hat umgerechnet drei Millionen Euro gekostet. Nicht viel im Vergleich zu den Anschaffungskosten von 300‘000 Euro für einen Diesel-Doppeldecker. Die Umrüstung pro Bus wiederum kostet rund 50‘000 Euro. „Die Betriebskosten sind gleich zum Diesel, das wird sich jedoch ändern bei den rasant steigenden Treibstoffpreisen, dann kommen wir mit Biogas wahrscheinlich deutlich günstiger weg“, sagt Gary Mason. Trotzdem will er mit dem Versorger Air Liquide um einen Anteil an den Einnahmen aus dem CO2 Zertifikaten verhandeln, von denen Nottingham City Transport bisher nichts abbekommt. Zurzeit stammt das Bio-Erdgas für die Busse aus einer Anlage in dem 150 Meilen entfernten Gloucester. Solcherart bilaterale Vereinbarung zwischen Erzeuger und Verbraucher sind in Grossbritannien möglich. Bald soll das Gas aus einer Anlage direkt bei Nottingham stammen, die mit Brauereiresten und Lebensmittelabfällen betrieben wird. „Dann schliesst sich ein noch kleinerer Kreislauf “, sagt Gary Mason.

Fördertarif für organische Abfälle
Um die Nutzung von organischen Abfällen in Biogas-Anlagen zu fördern, erhalten die Betreiber nur den im Green Gas Support Scheme festgelegten Fördertarif, wenn sie die Hälfte des Methans aus Lebensmittelabfällen gewinnen. Nach Berechnungen des ADBA werden zurzeit 45 Millionen Tonnen organischer Abfälle in Biogas-Anlagen genutzt. Mit 170 Millionen Tonnen wäre das Potential fast vier mal so hoch.

Keine Siedlungsabfälle
Thomas Minter ist eine Art Pionier der nachhaltigen Nutzung von organischen Abfällen. Minter kommt aus der Immobilienbranche. Zum Biogas ist er über das Thema nachhaltiges Bauen gekommen. „Unsere Anlage war eine der ersten in Grossbritannien, die ausschliesslich mit organischen Abfällen lief.“ Thomas Minter steht auf dem Hof der vielfach ausgezeichneten Bore Hill Farm. Seine Anlage mit zwei 400 Kubikmetern grossen Fermentern und einem 300 Kubikmeter grossen Vorhaltetank liefert seit 2012 Methan. Die organischen Abfälle bezieht Minter von Molkereien, Schlachthöfen oder Lebensmittelbetrieben aus einem Umkreis von 50 Meilen. Organische Siedlungsabfälle verwertet er nicht mehr. Der Grund dafür ist in seinem Büro zu besichtigen: Auf der Bank des Fensters mit Blick in die Halle mit der Entpackungsmaschine liegen Eisenketten, Plastikstücke, Stofftiere, Batterien und Turnschuhe. „Der Aufwand das alles herauszutrennen war zu hoch.“

Methangehalt im Gas von 60 bis 64%
Anfangs gingen 17‘000 Tonnen Abfall pro Jahr durch die Fermenter, heute sind es fast doppelt so viele. Die Verweildauer beträgt 30 bis 34 Tage. „Das haben wir durch die ständige Optimierung der Prozesse geschafft“, sagt Minter und nestelt an dem Funkgerät, das an seine gelbe Sicherheitsweste geklippt ist. Zum Beispiel wird alle 15 Minuten neues Substrat in die Anlage gefüllt. „Das trainiert die Bakterien und fördert die Gasproduktion.“ Ständig verbessern Minter und seine Mitarbeiter die Vorbereitung und Mischung der verschiedenen Substrate, die Effizienz der Pumpen und viele andere Dinge mehr. Das dankt die Anlage ihnen mit einem Methangehalt im Gas von 60 bis 64 Prozent. Damit betreibt Minter zwei BHKW. Den erzeugten Strom speist er ein. Vor kurzem hat eine Studie der University of Bath nachgewiesen, dass die Stromerzeugung auf der Borehill Farm nicht nur kein Klimagas verursacht, sondern mit etwa 200 Gramm CO2 pro erzeugte kWh einspart.

Überschüsse abfackeln
Anfangs bekam Minter für diesen Strom 19 Eurocent pro kWh, jetzt sind es noch 7. Die Biogas Überschüsse der Anlage würden eine Erweiterung der Stromproduktion erlauben. Seit die Regierung die Fördertarife für elektrische Energie aus Biogas gestrichen hat, müssen Neuanlagen mit dem Marktpreis auskommen. „Zurzeit ist der zwar ganz gut, das aber ist sehr unsicher.“ Eine Einspeisemöglichkeit ins Gasnetz gibt es nicht in der Nähe der Borehill Farm. Zudem erfordert die Aufbereitung hohe Investitionen. Deshalb fackelt Minter seine Überschüsse bislang ab. So werden wertvolle Ressourcen nicht genutzt.

Infrastrukturunternehmen, Banken und Aktiengesellschaften
Die Festlegung der britischen Regierung auf Bioabfall als Substrat sowie die bevorzugte Einspeisung von Bio-Erdgas bestimmt, was auf der Insel neu gebaut wird - und ruft neue Akteure auf den Plan. Anstelle von Farmern und anderen kleinen Investoren sind es nun Infrastrukturunternehmen, Banken und Aktiengesellschaften, die in Biogas-Anlagen investieren. Das zeigen auch die beiden aktuellen Projekte von Bioconstruct. Grossbritannien gehört mit bisher 25 fertig gestellten Anlagen zu den wichtigsten Märkten des Unternehmens aus Melle. Zurzeit baut Bioconstruct in Attleborough in der Grafschaft Norfolk und in Evercreech in Sommerset zwei Anlagen zur Einspeisung von Bio-Erdgas, die mit organischen Abfällen betrieben werden. Die in Attleborough soll den Grossteil der fast 4500 Haushalte des Ortes mit Wärme versorgen. Noch etwas grösser wird die Anlage in Evercreech mit insgesamt 9000 Kubikmeter fassenden Fermentern und einer Nachgärung mit 8500 Kubikmetern Volumen. Beide Anlagen sollen ab März 2022 einspeisen.

350 Millionen Euro 30 Biogas-Anlagen
Im Winter wird deshalb auch nach Einbruch der Dunkelheit unter Flutlicht auf den Baustellen geklotzt. In Evercreech wurden bereits einige Rührwerke montiert. Die grünen Entschwefelungsnetze sind über die Fermenter gespannt, in Kürze folgen die Doppelmembranspeicher. Daneben decken Männer mit Helmen und Sicherheitswesten das Dach der riesigen Entpackungshalle. Auftraggeber in Attleborough ist Privilege Finance, die nach eigenen Angaben in den letzten 18 Jahren mit rund 350 Millionen Euro 30 Biogas-Anlagen finanziert hat. In Evercreech ist es die international tätige Macquarie Capital. Die englische Schwesterfirma von Bioconstruct wird beide Anlagen warten und betreiben. Das ist aufgrund des Substrates eine anspruchsvolle Aufgabe. Überhaupt ist so einiges schwieriger geworden in Grossbritannien. Zunächst stürzte nach dem Brexit das britische Pfund ab. Dann kamen Zölle auf Stahl. Ab 2022 gelten neue Baustandards, die eingehalten werden müssen. „Das hilft alles nicht gerade“, sagt Andreas Bröcker, verantwortlich bei Bioconstruct für den englischen Markt. Hinzu kommen stark gestiegene Rohstoffpreise, die man nicht weitergeben kann. „Die hohen Preise für Stahl und Beton könnten auch die Finanzierung von Projekten gefährden, die noch in der Pipeline stecken“, sagt Andreas Bröcker.

Standardisierte Container
Das wäre schade. Grossbritannien hat Potential, ein gut ausgebautes Gasnetz und Mut zur Innovation. Das zeigen auch die Ideen der mehrfach ausgezeichneten Firma SEaB Energy, die mit ihren Biogas-Anlagen in Containern die Technik zum Substrat bringt anstatt anders herum. Die Container werden komplett gefertigt zum Standort tranportiert und dort in wenigen Tagen aufgebaut. „Das spart Klimagasemissionen, Baukosten und Transportaufwand“, sagt Gründerin Sandra Sassow. Ab einer Menge von 400 Kilogramm Lebensmittelabfällen oder Dung soll sich der Betrieb einer solchen modularen Anlage lohnen, die aus mindestens drei Containern besteht, einem Fermenter, einem Steuerungszentrum sowie einem BHKW. Kombinieren kann man diese noch mit einer Einheit zur Düngerherstellung. Die Besitzer oder Mieter der Anlagen können damit ihren Standort wechseln oder je nach Substrataufkommen die Anzahl der Fermenter verändern.

Ohne Rührwerk
Das System kommt ohne Rührwerk aus. Für Bewegung im Substrat sorgen ausschliesslich die Pumpen. Auch braucht es kein zusätzliches Wasser, weil die im Substrat enthaltene Feuchtigkeit im System zirkuliert. Bei der maximalen Substratzufuhr von 2.500 Kilogramm Lebensmittelabfällen soll die Anlage pro Tag nach Abzug des Eigenbedarfs 40 kWh Strom und 70 kWh Wärme liefern. Vor allem aber spart sie den Betreibern Entsorgungskosten. Der genaue Preis wird nicht verraten. Nach Angaben von SeaB aber soll sie sich schon nach zwei bis sechs Jahren amortisieren. Bisher konnte SEaB Energy zwölf Anlagen verkaufen, davon sieben ins Ausland. Zu den Kunden zählen Supermärkte, Krankenhäuser oder Grossunternehmen mit eigener Kantine.

Fermenter für Hundekot
Den wohl eigenwilligsten Innovator treffen wir am Ende der Reise. „Ich bin nicht der verrückte Erfinder, für den Sie mich halten“, sagt Brian Harper zur Begrüssung. Er steht vor seinem Haus im malerischen Malvern in Worcestershire auf einer Leiter, um die Flamme einer Gaslaterne zu illuminieren. Betrieben wird sie mit Methan aus seinem selbst konstruierten Fermenter für Hundekot. Ungefähr 30 Papiertüten mit Kot pro Tag genügen für eine Stunde Licht. „Die Hundebesitzer erkennen so den Wert der Hinterlassenschaften ihrer Tiere“, erklärt Brian Harper. Und entfernen diese wirklich von Wegen, Wiesen und Strassen. „Manche trainieren sogar ihre Hunde dazu, ihr Geschäft möglichst nah an der Anlage zu erledigen.“ Die Idee dazu stammt ursprünglich von einer Studentengruppe am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Brian Harper hat sie mit finanzieller Unterstützung der Landschaftsschutzbehörde Malvern Hills Area of Outstanding Natural Beauty umgesetzt. Mit seiner Mini-Biogasanlage hat der 70-Jährige Elektroingenieur, der früher ein international erfolgreiches Unternehmen für hochsensitive Kamerasysteme betrieben hat, schon bis ins japanische Fernsehen gebracht. Das ganze aber ist kein Scherz. Mit seiner Firma Sight Designs will Harper die Anlage an Gemeinden, Parkverwaltungen oder Hundevereine verkaufen. Die spinnen, die Briten? Auf gar keinen Fall.

©Text: Klaus Sieg, Bilder: Martin Egbert

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