Ein stabiles Stromnetz ist grundlegend für ein zuverlässiges und nachhaltiges Energiesystem. Durch neue Leitungen kann es aber dazu kommen, dass das Netz nicht stabiler, sondern instabiler wird und es zu Stromausfällen kommt. ©Bild: Markus Breig, Kit

Kit: Instabile Netze verstehen – neue Leitungen können Stabilität verringern

(Kit) Eine nachhaltige Energieversorgung erfordert den Ausbau der Stromnetze. Neue Leitungen können aber auch dazu führen, dass Netze nicht wie erwartet stabiler, sondern instabiler werden. Das Phänomen nennt sich Braess-Paradoxon. Dieses hat nun ein internationales Team, an dem auch Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (Kit) beteiligt sind, erstmals für Stromnetze im Detail simuliert, in grösserem Massstab demonstriert und ein Vorhersageinstrument entwickelt. Es soll Netzbetreiber bei Entscheidungen unterstützen. Die Forschenden berichten in der Zeitschrift Nature Communications.


Die nachhaltige Transformation des Energiesystems erfordert einen Ausbau der Netze, um regenerative Quellen einzubinden und Strom über weite Strecken zu transportieren. Dieser Ausbau verlangt grosse Investitionen und zielt darauf ab, die Netze stabiler zu machen. Durch das Aufrüsten bestehender oder das Hinzufügen neuer Leitungen kann es aber auch geschehen, dass das Netz nicht stabiler, sondern instabiler wird und es zu Stromausfällen kommt. „Wir sprechen dann vom Braess-Paradoxon. Dieses besagt, dass eine zusätzliche Option anstatt zur Verbesserung zur Verschlechterung der Gesamtsituation führt“, sagt Benjamin Schäfer, Leiter der Forschungsgruppe Datengetriebene Analyse komplexer Systeme (Dracos) am Institut für Automation und angewandte Informatik des Kit.

Bekannt aus Strassenverkehrsnetzen
Benannt ist das Phänomen nach dem deutschen Mathematiker Dietrich Braess, der es erstmals für Strassenverkehrsnetze erörterte: Unter bestimmten Bedingungen kann der Bau einer neuen Strasse die Fahrzeit für alle Verkehrsteilnehmenden verlängern. Dieser Effekt wurde in Verkehrssystemen beobachtet und für biologische Systeme diskutiert, für Stromnetze aber bisher nur theoretisch prognostiziert und in sehr kleinem Massstab dargestellt.

Forschende simulieren Stromnetz in Deutschland einschliesslich geplanter Ausbauten
Das Phänomen haben die Forschenden um Schäfer nun erstmals im Detail für Stromnetze simuliert sowie in grösserem Massstab demonstriert. Sie nahmen eine Simulation des Stromnetzes in Deutschland einschliesslich geplanter Verstärkungen und Ausbauten vor. Bei einem Versuchsaufbau im Labor, der das Braess-Paradoxon in einem Wechselstromnetz zeigt, beobachteten die Forschenden das Phänomen in der Simulation sowie im Experiment. Wesentlich dabei war eine Betrachtung von Kreisflüssen. Denn diese sind entscheidend, um das Braess-Paradoxon zu verstehen: Eine Leitung wird verbessert, indem beispielsweise der Widerstand verringert wird, und kann daraufhin mehr Strom transportieren.

„Aufgrund von Erhaltungssätzen gibt es dadurch effektiv einen neuen Kreisfluss, und in manchen Leitungen fliesst mehr, in anderen weniger Strom“, erläutert Schäfer. „Zum Problem wird dies, wenn die schon am meisten belastete Leitung nun noch mehr Strom führen muss, die Leitung damit überlastet wird und stillgelegt werden muss. Dadurch wird das Netz instabiler und bricht schlimmstenfalls zusammen.“

Intuitives Verständnis ermöglicht schnelle Entscheidungen
Die meisten Stromnetze verfügen über ausreichende Reservekapazitäten, um dem Braess-Paradoxon standzuhalten. Beim Bau neuer Leitungen und während des Betriebs prüfen die Netzbetreiber alle möglichen Szenarien. Wenn allerdings kurzfristig Entscheidungen zu treffen sind, beispielsweise um Leitungen stillzulegen oder Kraftwerksleistungen zu verschieben, genügt die Zeit nicht immer, um alle Szenarien durchzurechnen. „Dann bedarf es eines intuitiven Verständnisses von Kreisflüssen, um einschätzen zu können, wann das Braess-Paradoxons auftritt und so schnell die richtigen Entscheidungen zu treffen“, sagt Schäfer. Zusammen mit einem internationalen und interdisziplinären Team hat der Wissenschaftler deshalb ein Vorhersageinstrument entwickelt, das Netzbetreiber dabei unterstützt, das Braess-Paradoxon bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen. Die Ergebnisse der Forschung ermöglichten nun das theoretische Verständnis des Braess-Paradoxons und lieferten praktische Leitlinien, um Netzerweiterungen sinnvoll zu planen und die Stabilität des Netzes zu unterstützen, so Schäfer.

Originalpublikation
Benjamin Schäfer, Thiemo Pesch, Debsankha Manik, Julian Gollenstede, Guosong Lin, Hans-Peter Beck, Dirk Witthaut, and Marc Timme: Understanding Braess' Paradox in power grids >>. Nature Communications, 2022. DOI: 10.1038/s41467-022-32917-6,

Text: Karlsruher Institut für Technologie (Kit)

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