Bertrand Piccard vertritt die Vision einer energieeffizienten Wirtschaft, die auf sauberen Technologien und erneuerbaren Energien aufbaut. In der Schweiz hält man ihm entgegen, dass dies die Unternehmen benachteiligen würde. ©Bild: EnAW

Bertrand Piccard: Der grösste Industriemarkt dieses Jahrhunderts wird darin bestehen, die Umwelt zu schützen, statt sie zu zerstören

(Enaw) Die Weltumrundung mit einem Solarflugzeug hatte seinen zahlreichen, konkreten Engagements für eine nachhaltige Welt als Aushängeschild gedient. Im Frühling 2020, als die Pandemie viele Gewissheiten ins Wanken brachte, rief Bertrand Piccard mit Firmenchefs grosser Unternehmen dazu auf, ehrgeizige Nachhaltigkeits- und Umweltziele für den Wirtschaftsaufschwung festzulegen. Ein Interview mit dem Solarpionier. (Article en français >>)


Bertrand Piccard, Sie haben in einem Gastbeitrag mit zwölf Firmenchefs dazu aufgerufen, auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Corona-Konjunkturmassnahmen zu ergreifen. Wie waren die Reaktionen?

Der Beitrag [1] wurde sehr positiv aufgenommen, denn damit forderten Grossunternehmen die Regierungen zu einer ehrgeizigeren Energie- und Umweltpolitik auf. Oft verstecken sich die Regierungen hinter den Unternehmen und argumentieren, dass zu hohe Umweltansprüche zu wirtschaftlichen Problemen und Arbeitslosigkeit führen könnten. Unser Aufruf hat aber gezeigt, dass die grössten Unternehmen strengere Umweltauflagen wollen, die sich an den heutigen Herausforderungen ausrichten und die Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit, Cleantech und erneuerbare Energien fördern. Sie verlangen auch Klarheit und Planbarkeit für eine konstante Entwicklung sowie Schutz vor Wettbewerbsverzerrungen gegenüber allen, die sich nicht an die Regeln halten. Nach diesem Aufruf hatte ich viele Interviews und Auftritte. Der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire hat ihn begrüsst, die Energieministerin Elisabeth Borne hat sich bei mir bedankt.

Wie waren die Reaktionen der Schweiz?
In der Schweiz hat das Magazin Bilan den Beitrag abgedruckt, die politischen Reaktionen waren aber nicht auf dem französischen Niveau. Ich vertrete die Vision einer energieeffizienten Wirtschaft, die auf sauberen Technologien und erneuerbaren Energien aufbaut. Noch immer hält man mir in der Schweiz entgegen, dass dies die Unternehmen benachteiligen würde. Wäre dies so, würde ich niemals hinter einem solchen Programm stehen. Ich vertrete diesen Standpunkt, weil es der rentabelste Weg ist. Wir sprechen hier keineswegs von ökologischem Dogmatismus, sondern von Wirtschaftsentwicklung, und zwar mit positiven Auswirkungen auf die Umwelt!

Grossunternehmen wie KMU sollen nicht nur aus Rücksicht auf die Umwelt und für die nächsten Generationen effizienter werden. Denn CO2 steht nicht nur für den Klimawandel, sondern auch für Ineffizienz und Verschwendung. Alles, was die CO2-Bilanz eines Unternehmens verbessert, wirkt sich langfristig auch finanziell positiv aus. Effizienz fördert die Entwicklung neuer Werkzeuge, Technologien und Verfahren für die Umstellung auf Nachhaltigkeit und ist dadurch auch eine Quelle neuer Produktionsmöglichkeiten und neuer Berufe. Die Entwicklungsperspektiven sind enorm und umfassen Bereiche wie neue Energiequellen, Digitalisierung des Gemeinwesens, Entwicklung intelligenter Netze, Kreislaufwirtschaft, aber auch die Bewirtschaftung, das Recycling und die Verwertung von Abfällen zur Energiegewinnung usw. Diese Argumente, die ich bereits 2002 vertrat, sprechen die Unternehmen sehr direkt an. Genau diese Argumente habe ich in einem Gastkommentar über die Ausgestaltung des europäischen Wirtschaftsaufschwungs [2] wiederholt, die ich als Sonderberater bei der Europäischen Kommission zusammen mit Exekutiv-Vizepräsident Frans Timmermans veröffentlicht habe.

An der «COP 23» in Bonn hatten sie aber 2017 Bedauern geäussert?
Stimmt. Wir verfügen heute bereits über wirtschaftlich rentable technische Lösungen, die eine Halbierung des CO2-Ausstosses ermöglichen würden. Viele Innovationen schaffen es aber nicht, aus dem Umfeld der Start-ups, Universitäten oder Grossunternehmen auszubrechen. Patente verschwinden im Niemandsland, so dass Öffentlichkeit, Unternehmen und Entscheidungsträger von den meisten Lösungen nie etwas hören. Regierungen berücksichtigen sie deshalb auch nicht, wenn es um die Entwicklung rechtlicher Rahmenbedingungen geht. In der Konsequenz werden diese Lösungen dann nicht oder nur sehr zögerlich umgesetzt. Diesen Teufelskreis müssen wir durchbrechen!

Rund 20 bis 25 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs und des Schadstoffausstosses wird durch die Unternehmen verursacht. Die Öffentlichkeit nimmt eine abwartende Haltung ein, weil sie diesen Anteil meist massiv überschätzt und gleichzeitig ihren eigenen Anteil unterschätzt. Wie können Unternehmen einen Nachahmungseffekt auslösen?
Sie können sich für strengere Regeln einsetzen und darauf hinweisen, dass ihr Engagement bei weitem nicht ausreichen wird, aber auch, dass Technologielösungen im Grossen umgesetzt werden müssen, um den hohen CO2-Anteil zu senken, den die Bevölkerung durch Wohnraum, Transport, materiellen und digitalen Konsum verursacht … Viele Technologien existieren wie gesagt bereits, nun müssen aber ihr Bekanntheitsgrad und die Verbreitung der neuen Produkte massiv erhöht werden.

Ist das nicht auch das Ziel Ihrer Initiative «1000 wirtschaftlich rentable Lösungen zum Schutz der Umwelt», mit der Projekte und Innovation gefördert und für alle sichtbar und zugänglich gemacht werden?
Genau, denn ich wollte nicht nur schön reden, sondern beweisen, dass dieser ökologische Wandel möglich und wirtschaftlich rentabel ist. Deshalb habe ich entschieden, die Expertengruppen der Solar Impulse Foundation mit der Bewertung und Auszeichnung von Technologien, Systemen, Produkten, Materialien, Programmen usw. zu beauftragen und das Label «Solar Impulse efficient solution» zu verleihen [3]. Es geht dabei um Wasserbewirtschaftung – beispielsweise Sparmassnahmen, Reinigung, Entsalzung –, um erneuerbare Energien, landwirtschaftliche Produktion, Industrieprozesse, Energieeffizienz von Gebäuden und Mobilität. Dieses Portfolio ist allgemein zugänglich und wird die Unternehmen dabei unterstützen, effizienzsteigernde Massnahmen zu definieren.

Auch Privatpersonen können darauf zurückgreifen und beispielsweise die innovative Entwicklung eines Schweizer Unternehmen nutzen, die das ablaufende Duschwasser zum Vorwärmen des Frischwassers einsetzt und so die Energiekosten senkt. Dieses Beispiel zeigt, dass die Unternehmen beim ökologischen Wandel zwei Rollen haben. Sie setzen einerseits neue Technologien und Energien ein, um ihre Infrastrukturen rentabler zu gestalten, und richten andererseits ihre Produktion auf nachhaltige und/oder nachhaltigkeitsfördernde Produkte aus. Für Arbeitsplätze und Rentabilität erschliesst sich dadurch auch in ökologischer Hinsicht ein enormes Marktpotenzial. Die «1000 Lösungen» sollen zeigen, dass der grösste Industriemarkt dieses Jahrhunderts darin bestehen wird, die Umwelt zu schützen, statt sie zu zerstören.

Weitere Informationen

Magazin «Fokus» 2020 >>

Biografie Bertrand Piccard (auf Französisch) >>

[1] Beitrag Solarimpulse >>

[2] Beitrag Bilan >>

[3] Solar Impulse efficient solution >>

Text: Energie-Agentur der Wirtschaft (EnAW)

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1 Kommentare

Max Blatter

Den letzten Satz würde ich anders formulieren! Also nicht "... dass der grösste Industriemarkt dieses Jahrhunderts darin bestehen wird, die Umwelt zu schützen, statt sie zu zerstören". Warum?

Kein Unternehmen will bewusst "die Umwelt zerstören", vielmehr ist das ein (oft aus Lichtsinn, manchmal vielleicht aus Geldgier in Kauf genommener) Nebeneffekt.

Insofern sollte es aus meiner Sicht auch kein losgelöster Geschäftsbereich sein, "die Umwelt zu schützen". Sondern auch das sollte ein (wichtiger und mit hoher Priorität bewusst angestrebter) Nebeneffekt sein. Hauptabsicht ist und bleibt die Befriedigung des menschlichen Bedürfnisses nach Lebensqualität, Komfort und vielleicht sogar ein kleines bisschen Luxus.

Insofern würde ich den Satz umformulieren: "... dass die Industriemärkte dieses Jahrhunderts nur erfolgreich sein können, wenn sie dem Schutz der Umwelt höchste Aufmerksamkeit schenken, statt leichtfertig deren Zerstörung in Kauf zu nehmen."

Der Einwand betrifft übrigens die Formulierung des französischen (Original?-)Textes genauso!

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