Dr. Marian Hertrich, Leiter des BFE-Projekts, im Gespräch mit einem wissenschaftlichen Mitarbeiter. Bild: Werner Siemens-Stiftung, 2019/Felix Wey

Das Felslabor der ETH Zürich befindet sich im Bedrettotal, dem obersten Teil der Leventina. Bild: Schweizerischer Erdbebendienst an der ETH Zürich, 2020/Luxwerk.ch

Das Bohrgerät treibt eine Bohrung in den Granit des Gotthardmassivs. Bild: Schweizerischer Erdbebendienst an der ETH Zürich, 2019

Das Bedretto-Felslabor der ETH Zürich ist umgeben von Granit, einem kristallinen Gestein. Bild: : Schweizerischer Erdbebendienst an der ETH Zürich

Bei einer geothermischen Bohrung wird in den oberen Teil des Bohrlochs ein Stahlrohr eingeführt und der Freiraum mit Zement verfüllt. Bild: Werner Siemens-Stiftung, 2019/Felix Wey

Die Bohrkerne liefern wichtige Anhaltspunkte zur Zusammensetzung und den Eigenschaften des Gesteins. Bild: Schweizerischer Erdbebendienst an der ETH Zürich, 2019

Schematische Darstellung der verschiedenen Bohrungen im Bedretto-Felslabor. Bild: Schweizerischer Erbebendienst an der ETH Zürich.

Die Grafik vermittelt eine Ahnung von den Messgeräten, die im Felslabor zum Einsatz kommen. Bild: Schweizerischer Erdbebendienst an der ETH Zürich

Packer unterteilen das Bohrloch in einzelne Zonen. Bild: Schweizerischer Erdbebendienst an der ETH Zürich

Ein Packer wird ins Bohrloch eingeführt. Bild: Geo-Energie Suisse

Die Grafik zeigt: Die durch Stimulation hervorgerufenen Mikrobeben sind räumlich recht klar getrennt. Bild: Geo-Energie Suisse

ETH Zürich: Erdwärme-Forschung im Bedretto-Felslabor - Geoenergie aus sicheren Felszonen

(BV) Erdwärme wird in der Schweiz schon intensiv genutzt, hauptsächlich mittels Erdsonden, die aus dem Boden Heizwärme und Warmwasser für Gebäude bereitstellen. Noch kaum verwertet wird die Wärme aus tieferen Erdschichten: Wer 1000 m und tiefer bohrt, der stösst auf einen gewaltigen Wärmevorrat, der für Heizzwecke, Industrieprozesse und die Stromproduktion genutzt werden kann. Die Geo-Energie Suisse AG hat im Bedretto-Felslabor der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich und mit deren wissenschaftlichen Unterstützung einen neuen Ansatz für eine sichere Nutzung der Tiefengeothermie erprobt.


Eine fast unerschöpfliche Energiequelle liegt direkt unter unseren Füssen: Bohrt man in der Schweiz einen Kilometer tief, ist der Fels 40 °C warm. In fünf Kilometern Tiefe sind es sogar 160 °C. Erdwärme stellt einen gewaltigen Vorrat an Wärme bereit, der auch für die Produktion von Strom genutzt werden kann, sofern die Temperaturen über 100 °C liegen. Aktuell beziehen Herr und Frau Schweizer jedes Jahr vier Milliarden Kilowattstunden (kWh) Erdwärme. Sie deckt 4% des landesweiten Wärmebedarfs. Der grösste Teil stammt aus der obersten Erdschicht. Erdwärmesonden nehmen die Energie auf, bevor Wärmepumpen sie mithilfe von Elektrizität auf das für Heizung und Warmwasser benötigte Temperaturniveau bringen.

Wasser durchströmt zerklüfteten, heissen Felsen
Der Beitrag der Erdwärme (Geothermie) an die Energieversorgung lässt sich noch beträchtlich steigern – durch Ausbau der Erdsonden, aber auch, indem die Erdwärme in mittlerer Tiefe (500 bis 3000 m) und in sehr tiefen Regionen (3000 m und tiefer) genutzt wird. Nach der Basisvariante des Szenarios Netto-Null (ZERO) der Ende 2020 veröffentlichten ‹Energieperspektiven 2050+› des Bundesamts für Energie könnte die Geothermie im Jahr 2050 5,5 TWh zur Energieversorgung beisteuern, davon 2 TWh als Strom und 3,5 TWh für die Fernwärmeproduktion. Der Dachverband ‹Geoenergie Schweiz› beziffert den möglichen Beitrag zur Wärmeversorgung sogar mit 17 TWh; das wäre rund ein Viertel des Wärmebedarfs, den die ‹Energieperspektiven 2050+› für das Jahr 2050 annehmen. Je nach Bohrtiefe empfehlen sich zur Gewinnung der Erdwärme unterschiedliche Verfahren. In Tiefen von 3000 m und mehr steht die Methode der petrothermalen Geothermie im Vordergrund: Hierbei wird über eine Bohrung Wasser mit hohem Druck in das kristalline Felsgestein gepresst. Das Wasser dringt in vorhandene Felsritzen (Klüfte) ein und weitet sie. Die hydraulische Stimulation schafft im Fels sogenannte ‹Reservoire›, also Räume, in denen das zirkulierende Wasser Wärme aus dem zerklüfteten Fels aufnehmen kann. Das auf 100 und mehr Grad erhitzte Wasser gelangt anschliessend durch eine zweite Bohrung zurück an die Erdoberfläche. Der heisse Dampf kann zur Wärme-, vor allem aber auch zur Stromproduktion genutzt werden.

Erdbeben in Zusammenhang mit Deep Heat Mining Basel›
Genau das war die Idee einer 5000 m tiefen Geothermie-Bohrung von 2005 in Basel. Das Projekt ‹Deep Heat Mining Basel› musste allerdings abgebrochen werden, nachdem sich mehrere wahrnehmbare Erdbeben ereignet und Befürchtungen der Bevölkerung vor einem grossen Erdbeben geweckt hatten. 2011 gründeten Stadtwerke und regionale Energieversorgungsunternehmen aus der ganzen Schweiz die GEO-Energie Suisse AG. Das Unternehmen zog die Lehren aus den Erfahrungen in Basel und entschied sich für einen neuen Ansatz. Um Geoenergie sicher zu fördern, griffen die Verantwortlichen auf das aus der Erdölindustrie bekannte Multi-Etappen-Stimulationskonzept zurück. «2012 haben wir dieses Verfahren für die Schweiz patentieren lassen; im Spätherbst 2020 konnten wir nun im Bedretto-Labor der ETH Zürich zeigen, dass wir mit dem Verfahren das Erdbebenrisiko bei Tiefengeothermie-Bohrungen auf ein Minimum reduzieren können», sagt Dr. Peter Meier, CEO von Geo-Energie Suisse.

Stimulierung in isolierten Zonen des Bohrlochs
Die Grundidee des neuen Ansatzes: Wurde in Basel bei der Wasserinjektion der gesamte untere Teil des Bohrlochs unter Druck gesetzt, wird das Bohrloch beim neuen Verfahren mit Gummimanschetten (‹Packern›) in mehrere Etappen (‹Zonen›) unterteilt. In jeder Zone kann nun unabhängig ein Reservoir stimuliert werden, wobei die Wasserinjektionen räumlich und zeitlich gestaffelt erfolgen. Die Methode erlaubt, in jedem Felsabschnitt Mikrobeben exakt in jener Stärke zu stimulieren, wie sie für die Entstehung eines Reservoirs nötig sind. Möglicherweise kritische Zonen können so frühzeitig erkannt werden. Unkontrolliert starke Erdbeben sollen sich damit vermeiden lassen.

Um die Methode der ‹isolierten Zonen› zu testen, wurden im Bedretto-Felslabor (vgl. Textbox 1) zwei Packer im Abstand von 6,5 m im Bohrloch platziert und der Fels dazwischen stimuliert. Indem die zwei Packer im Bohrloch verschoben wurden, konnten die Stimulationen an verschiedenen Stellen innerhalb des Bohrlochs durchgeführt werden. Bei den Versuchen im Spätherbst 2020 wurden so insgesamt zehn Bohrlochabschnitte stimuliert. Dabei hat sich das Multi-Etappen-Stimulationskonzept bewährt: Gemäss ersten Auswertungen wurde die Wasserdurchlässigkeit im kompakten Rotondogranit um den Faktor 10 bis 100 erhöht. «Obwohl wir deutlich geringere Wassermengen injiziert haben als in Basel, weisen die von uns geschaffenen Reservoire die für eine wirtschaftliche Wärmenutzung erforderliche Durchlässigkeit auf», sagt Hydrogeologe Meier. Die für die Rissbildung notwendigen Mikrobeben (Mikroseismizität) hatten eine Stärke von maximal -1.8 Mw auf der Richterskala. Die Erde bebte damit etwa hunderttausendmal schwächer als beim grössten Beben beim Geothermieprojekt in Basel (Magnitude von 3.4). Peter Meiers Fazit: «Mit diesen Ergebnissen rückt die Nutzung der petrothermalen Tiefengeothermie in greifbare Nähe.»

Umfassendes Messprogramm der ETH Zürich
Im Frühjahr 2021 ist im Bedretto-Labor eine weitere Testreihe geplant. In einem 400 m langen Bohrloch werden mit Packern dann insgesamt zehn Zonen von jeweils 10 bis 20 m Länge geschaffen, die einzeln oder in verschiedenen Kombinationen stimuliert wurden. Bei der Testreihe wird das Volumen des eingepressten Wassers erhöht, um die Reservoire auszuweiten. Wie bei der ersten Testreihe im Herbst 2020 werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der ETH Zürich die Versuche mit einem umfangreichen Messprogramm begleiten. Viele Detailfragen sind nämlich noch offen: Dichten die Packer die Zonen gut ab, und dies auch langfristig? Wie viel Wärme kann den künstlich geschaffenen Reservoirs entnommen werden? Wie lassen sich die Durchflussraten steuern? Welche chemischen Prozesse laufen im Fels ab? Können die Reservoirs allenfalls als saisonale Wärmespeicher vom Sommer in den Winter genutzt werden?

Die ETH Zürich verfügt über Expertise bei sehr empfindlichen Schallmessungen. Ihre Messgeräte registrieren Erschütterungen, die zehn Millionen mal kleiner als ein spürbares Erdbeben sind. Auf der Basis solcher Messungen haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein Verfahren zur Vorhersage der Seismizität entwickelt, das in der aktuellen Versuchsreihe erfolgreich eingesetzt wurde. Dazu messen die Forschenden geringste Erschütterungen im Gestein, die als Vorboten von grösseren Erschütterungen gelten. «Unser Verfahren erlaubt, Felszonen zu erkennen, in denen im Fall einer Stimulation schwere Erschütterungen drohen und die daher nicht stimuliert werden dürfen», sagt Dr. Marian Hertrich, der das Forschungsteam der ETH Zürich leitet.

Pilotprojekt in Haute-Sorne
Nach den positiven Erfahrungen im Bedretto-Felslabor will Geo-Energie Suisse das Multi-Etappen-Stimulationskonzept noch im laufenden Jahr an einem Versuchsstandort im US-Bundesstaat Utah überprüfen. Dort herrschen – anders als im Bedretto-Felslabor – die für die petrothermale Geothermie erforderlichen Temperaturen von über 100 °C. Das nächste Etappenziel in der Schweiz ist für Geo-Energie Suisse eine Erkundungsbohrung am Pilotstandort Haute-Sorne im Kanton Jura. Dort ist eine Pilotanlage geplant, die mit einer Leistung von fünf Megawatt Strom für 6000 Haushalte liefern würde. Die Anlage stiess im Standortkanton bisher auf Widerstand (siehe ee-news.ch vom 2.7.20 >>). Die neuen Ergebnisse aus dem Bedretto-Felslabor könnten helfen, die Akzeptanz der Bevölkerung für die Nutzung der Wärme aus tiefen Erdregionen zu fördern.


Felslabor der ETH Zürich im Bedrettotal
Der Zugang zum Bedretto-Felslabor der ETH Zürich liegt rund 20 Busminuten oberhalb von Airolo. Das Labor befindet sich in einem Stollen, der für den Bau des 1982 eröffneten Furka-Basistunnels ausgebrochen worden war. Das im Haupttext dargestellte Projekt baut auf den Untersuchungen auf, die 2017 im Grimsel-Felslabor der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) durchführt wurden. Das Projekt zur Erforschung der Reservoirstimulation im Bedretto-Labor, das noch bis zum Sommer 2021 läuft, wird von der Geo-Energie Suisse AG (Zürich) mit wissenschaftlicher Unterstützung der ETH Zürich durchgeführt, finanziell unterstützt vom Bundesamt für Energie. Geo-Energie Suisse wird von sieben Energieversorgungsunternehmen getragen, darunter die Stadtwerke von Basel, Bern und Zürich. Hauptziel des Unternehmens ist die Erstellung eines Pilotkraftwerks für Tiefengeothermie. Ein solches wird am Standort Haute-Sorne (Kanton Jura) angestrebt.


Text: Benedikt Vogel, im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE)

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Packer unterteilen das Bohrloch in einzelne Zonen. Bild: : Schweizerischer Erdbebendienst an der ETH Zürich

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Ein Packer wird ins Bohrloch eingeführt. Bild: : Geo-Energie Suisse

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Die Bild: zeigt: Die durch Stimulation hervorgerufenen Mikrobeben sind räumlich recht klar getrennt. Bild: : Geo-Energie Suisse

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1 Kommentare

Max Blatter

Seit ich an der Hochschule für Technik FHNW "Elektrische Energietechnik" bzw. neu "Nachhaltige Energietechnik" unterrichte, pflege ich zu sagen: Irgendwann wird auch in der Schweiz ein Geothermiekraftwerk ans Netz gehen!

Wenn ich einen Wunsch platzieren darf: Voraussichtlich werde ich mit 70 aufhören zu unterrichten; das wäre im Jahr 2024. Kann ich in meiner Abschiedsvorlesung von der ersten ins Elektrizitätsnetz eingespeisten Geothermie-Kilowattstunde berichten?

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