Ohne minimale, langfristig stabile Rückliefertarifen lohnt es sich heute leider oft nicht, die ganze Dachfläche für Photovoltaik auszunutzen. ©Bild: ADEV

SSES und VESE: «Werkzeugkasten Rückliefertarife» für Solarinteressierte jetzt verfügbar

(Anzeige) Solarenergie ist auch in der Schweiz die ökologisch und ökonomisch sinnvollste Option für den Umstieg auf erneuerbare Energien. Der Ausbau wird aber nach wie vor massiv gehemmt, da es an langfristig stabilen und minimalen Rückliefertarifen fehlt. Die SSES-Fachgruppe VESE will mit dem «Werkzeugkasten Rückliefertarife» diesem Problem Abhilfe verschaffen. Die Toolbox bietet politisch aktiven Personen spannende Instrumente, Tipps und Vorlagen zum Einfordern langfristig stabiler und minimaler Rückliefertarife.


Vertrauen wird geschädigt
Familie Müller ist frustriert: vor 5 Jahren hat sie auf ihrem Dach eine PV-Anlage installiert. Gemäss den Berechnungen hätte die Anlage innerhalb von 17 Jahren amortisiert sein sollen. Seit der Installation senkte der lokale Verteilnetzbetreiber (VNB) kontinuierlich den Vergütungstarif. Erhielten Müllers am Anfang noch 11 Rappen pro Kilowattstunde, sind es heute noch 7 Rappen. Damit dauert es nun fünf Jahre länger, bis die Anlage amortisiert ist. Das Elektrizitätswerk EW rät der Familie deshalb zur Eigenverbrauchsoptimierung und zu einem Zusammenschluss zum Eigenverbrauch ZEV. Doch der Aufwand dafür ist gross. Weder Herr noch Frau Müller verfügen über die notwendigen Kenntnisse oder Zeit, um sich einzulesen. Auch wenn sie jetzt nicht wissen, ob sich die Anlage überhaupt noch amortisieren lässt, ändern sie nichts an der aktuellen Situation und speisen den Strom zu den deutlich schlechteren Bedingungen weiterhin ein. Am nächsten Familienfest spricht Mutter Anna mit ihrem Cousin Daniel. Dieser überlegt sich ebenfalls, eine Solaranlage zu bauen. Obwohl Anna grundsätzlich von der Solarenergie überzeugt ist, rät sie Daniel davon ab: Die Situation mit den Rückliefertarifen sei zu unsicher. Daniel verzichtet aufgrund dieser negativen Berichte auf den Bau einer Anlage.

Dieses fiktive Beispiel – welches in der Realität hundertfach vorkommt – zeigt auf, dass es weitgehende Folgen haben kann, wenn eine Solaranlage nicht im ursprünglich versprochenen Zeitraum amortisiert werden kann. Damit wird auch das Vertrauen in die Solarenergie klar geschädigt. Längst nicht alle haben Zeit und Interesse, sich das notwendige Wissen für die Optimierung des Eigenverbrauches anzueignen oder die Ressourcen, um eine ZEV ins Leben zu rufen. Zudem lassen sich so reine Produktionsanlagen ohne Eigenverbrauch kaum finanzieren und viele Dächer werden nur teil belegt.

Rechtliche Grundlagen sorgen für unterschiedliche Auslegung
Die rechtlichen Grundlagen im Energiegesetz und der dazugehörigen Verordnung legen die Leitplanken zur Festlegung der Rückliefertarife fest. Im Energiegesetz finden sie sich unter Artikel 15 und in der Energieverordnung unter Artikel 12 geregelt. Im EnG steht: (die Vergütung richtet sich nach den) «… vermiedenen Kosten des Netzbetreibers für die Beschaffung gleichwertiger Elektrizität». Die zugehörige Energieverordnung, welche das Gesetz präzisiert und Ausführungsbestimmungen enthält, konkretisiert wie folgt: (die Vergütung richtet sich nach den) «… Kosten des Netzbetreibers für den Bezug gleichwertiger Elektrizität bei Dritten sowie den Gestehungskosten der eigenen Produktionsanlagen.» Aufgrund einer Beschwerde musste sich die Elcom vor Kurzem dieser Frage annehmen und stellte fest, dass die Verordnung gesetzeskonform ist. In den Worten der Elcom-Verfügung: «Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Artikel 12 Absatz 1 EnV gesetzeskonform ist und bei der Bemessung der Rückliefervergütung die Gestehungskosten der eigenen Produktionsanlagen berücksichtigt werden müssen.»

Obwohl damit etwas mehr Klarheit herrscht und sich die Situation in den vergangenen Jahren deutlich verbessert hat, werden schweizweit immer noch unterschiedlich hohe und vor allem variable Rückliefertarife ausbezahlt. Zur Verbesserung dieser unbefriedigenden Situation bieten sich dank dem föderalistischen Modell viele Möglichkeiten: Bürgerinnen und Bürger, Personen aus der Politik, die Mieterschaft, Gemeinden und Genossenschaften haben viele Möglichkeiten, auf stabile und kostendeckende Rückliefertarife hinzuwirken – was alles getan werden kann, soll der Werkzeugkasten aufzeigen.

Mit dem Werkzeugkasten angemessene Tarife einfordern
Hier setzt der «Werkzeugkasten Rückliefertarife» von VESE an: Da Elektrizitätswerke und Energieversorgungsunternehmen in der Schweiz traditionellerweise zumindest zur Hälfte der öffentlichen Hand gehören, können, dürfen und müssen politische Forderungen an die Unternehmensstrategie gestellt werden. So ist es zulässig, dass eine Gemeinde – unter Berücksichtigung der entsprechenden reglementarischen Grundlagen sowie den Eigentumsverhältnissen – den lokalen Gemeindebetrieben den Auftrag gibt, ihre Tarifstruktur anzupassen. Solche Forderungen können im Gemeindeparlament oder auch an der Gemeindeversammlung gestellt werden. Damit Personen, welche sich für diese Anliegen einsetzen, nicht bei Null anfangen müssen, enthält der «Werkzeugkasten Rückliefertarife» folgende Unterlagen:

  » eine Informationsbroschüre zur Erläuterung des Kontextes,
  » ein Argumentarium,
  » ein Positionspapier zum Thema Rückvergütungen inkl. Finanzierungsvorschlägen,
  » einige Mustervorstösse mit möglichen Ansätzen
  » eine Mustermedienmitteilung

Die Fachgruppe VESE erhofft sich, damit interessierten und engagierten Personen die notwendigen Hilfsmittel für eine erfolgreiche politische Debatte zu kostendeckenden und stabilen Rückliefertarifen zur Verfügung zu stellen. In der Praxis hat es sich gezeigt, dass es sinnvoll ist, basierend auf den Musterunterlagen auf die lokalen Gegebenheiten zugeschnittene Vorstösse zu erstellen. VESE und die SSES helfen auf Rückfrage hin jederzeit bei der Schärfung spezifischer Vorstösse.

«Werkzeugkasten Rückliefertarife»
Der Werkzeugkasten wurde von VESE in Zusammenarbeit mit dem Zentralsekretariat der SSES im Rahmen einer Projektarbeit über die Finanzierung von Rückliefertarifen erstellt. Er enthält nebst Hintergrundinformationen und einem Argumentarium auch Muster-Vorstösse und Muster-Medienmitteilungen.
Den gesamten Werkzeugkasten können Sie unter www.vese.ch/werkzeugkasten herunterladen. Zur konkreten Umsetzung in Ihrer Gemeinde stehen Ihnen sowohl die SSES unter office@sses.ch als auch VESE unter info@vese.ch jederzeit gerne zur Verfügung.

Text: Carole Klopfstein / Redaktion SSES

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Interview

«Damit mittlere und grosse Produktionsanlagen gebaut werden, braucht es Investitionssicherheit»
Interview mit Walter Sachs, Präsident der SSES wie auch des Verbandes der unabhängigen Energieerzeuger VESE, einer Fachgruppe der SSES.

Beat Kohler: In der Schweiz wurde im letzten Jahr 50% mehr Solar zugebaut. Ist dies nicht ausreichend?
Walter Sachs: Nein, das reicht für die notwendige Energiewende – die eigentlich von niemandem mehr in Frage gestellt wird – nicht aus. Obwohl die Entwicklung natürlich erfreulich ist. Damit die gewünschten Ausbauziele erreicht werden, braucht es eine Vervier- bis Verfünffachung der jetzigen Zubauraten. Und dies geht nicht mehr allein über ZEV und Eigenverbrauch – es braucht auch mittlere und grosse Produktionsanlagen. Damit diese gebaut werden, braucht es Investitionssicherheit. Auch dies wird von niemandem bestritten. Dafür bietet der «Werkzeugkasten» für politisch aktive Personen und für Parteien eine gute Werkzeugsammlung.

Wie soll die Energiewende finanziert ¬werden?
Hier hat sich glücklicherweise viel getan – so haben neue PV-Anlagen in der Schweiz Gestehungskosten von 8 bis 10 Rp/kWh, dies liegt ungefähr im Bereich des normalen Haushaltsenergietarifs H4 (siehe auch pvtarif.ch->Expertenmodus). Solarstrom ist demnach gar nicht mehr teurer als das, was wir sowieso für den Strom bezahlen. Dies ermöglicht ganz neue Möglichkeiten zur Absicherung des Investitionsrisikos ohne Mehrkosten. VESE ist zurzeit daran, mit Partnern entsprechende Modelle auszuloten.

Von welchen finanziellen Beträgen reden wir da?
Gesamthaft wird für den Umbau der schweizerischen Energieversorgung auf 100% erneuerbare, inländische Energie inklusiv allfälliger saisonaler Speicherung mit Kosten zwischen 50 und 80 Milliarden Franken gerechnet. Als Vergleich: Die Nationalbank hatte 2019 einen Jahresgewinn von 49 Milliarden Franken. Ein weiterer Vergleich: Pro Jahr geben wir für Erdöl und Erdgas 10 bis 11 Milliarden Franken aus. Stecken wir dieses Geld während fünf oder sechs Jahren in den Ausbau der Erneuerbaren, haben wir danach über Jahrzehnte Gratis-Energie. Oder aber, wenn wir unsere jetzigen Energiepreise zugrunde legen, eine Amortisation innert 20-25 Jahren.

Hat die Solarthermie in diesem Kontext noch eine Bedeutung?
Ja, auf jeden Fall. Auch wenn die Solarthermie im Einfamilienhausbereich aufgrund des Preiszerfalls der Photovoltaik und des Aufkommens von Wärmepumpen einen starken Rückgang erlebt, ist sie doch sehr wichtig bei der Unterstützung von Nahwärmeverbünden und beispielsweise der Brauchwasservorwärmung im Mehrfamilienhaus- und Siedlungsbereich. Auch die Regeneration von Erdsondenfeldern ist mit Solarthermie effektiv und gut möglich. Insofern wird die Solarthermie bei der Dekarbonisierung des Wärmesektors eine grosse Rolle spielen. Nicht zu vergessen die Solararchitektur, der Bau von Häusern in einer Art, dass die Sonnenergie in der Übergangszeit und im Winter – bei gleichzeitiger Verschattung im Sommer – optimal genutzt werden kann.

Im Moment spricht das Bundesamt für Energie davon, die Laufzeit der AKW auf 60 Jahre zu verlängern und einzelne ¬Parlamentarierinnen und Parlamentarier fordern gar ein neues AKW. Stehen wir vor einer Rückkehr zur Atomenergie?
Die immer wieder genannte Kernkraft ist keine Alternative, denn die Bauzeiten und Kosten von AKW übersteigen alles andere bei weitem. Beim sich seit vielen Jahren im Bau befindlichen AKW Hinkley Point C garantiert der englische Staat einen Strompreis von 13 Rp/kWh über 35 Jahre, zuzüglich Inflationsausgleich, Risikoübernahme bei den Rückbaukosten und der immer noch ungelösten Endlagerung. Zudem ist die Klima-Bilanz bei der Atomenergie – anders als oft behauptet wird – weit grösser als null, dies unter anderem aufgrund der Gewinnung und Aufbereitung des Urans, der im Betrieb und bei der Wiederaufbereitung emittierten ionisierenden, radioaktiven Edelgase sowie des Rückbaus und der Endlagerung. Solarenergie ist deutlich preisgünstiger, sogar inklusive saisonaler Speicherung. Dass dies tatsächlich so ist, zeigt Deutschland: In den letzten 8 Jahren hat ein leistungsmässiger Solarzubau stattgefunden, der 75-mal dem AKW Beznau I entspricht, oder einem jährlichen Energieertrag, der grösser ist, als der aller vier Schweizer AKW zusammen.

Könnte der Umfang des notwendigen Zubaus erneuerbarer Energien verringert werden?
Ja, das ist möglich – Stichworte sind hier «Effizienz» und «Negawatt». Die beste Energie ist die, die gar nicht verbraucht wird. In den 1960er Jahren lag der Pro-Kopf-Energieverbrauch bei rund einem Drittel bis einem Viertel des heutigen Wertes. Unsere Grosseltern hatten aber auch damals schon alles, was sie zum Leben benötigten, inklusive Mobilität und warmen Häusern. Was seither massiv zugenommen hat, ist der Energieverbrauch durch den ausufernden Autoverkehr mit seinen grossen und schweren Fahrzeugen, der Konsum kurzlebiger Güter sowie grössere, beheizte Wohnflächen. Etwas mehr Bescheidenheit und Nachhaltigkeit täte uns allen gut. Denn dann bräuchten wir grosse Teile des geplanten Ausbaus gar nicht. Wollen wir allerdings unseren energieintensiven Lebensstil weiter leben wie bisher, so gibt es zum Ausbau der Erneuerbaren keine Alternative. Sowohl unser Werkzeugkasten wie auch unsere Zusammenstellung der politischen Vorstösse auf pvpolitik.ch zeigen auf, wie wir die benötigten finanziellen Mittel zur Solarenergie leiten können. Das ist auch weit günstiger und nicht mit dem grossen Risiko behaftet, das eine Verlängerung der Laufzeit der Schweizer AKW mit sich bringen würde.

Das Interview führte Beat Kohler, SSES

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