Die SES fordert vom ENSI eine lückenlose Aufklärung des Falls und Massnahmen gegen solch gravierende Missstände. Die SES behält sich weitere Schritte vor. Bild: Axpo

SES: AKW Beznau jahrzehntelang ohne Erdbebenschutz - lückenlose Aufklärung gefordert

(SES) Anfangs Februar hat das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) seine Stellungnahmen zu einem ersten Teil der Erdbebensicherheitsnachweise der Schweizer AKW-Betreiber veröffentlicht. Die Nachweise wurden im Nachgang an die Katastrophe von Fukushima 2011 eingefordert. Das wiederkehrende Urteil des ENSI lautet: Alles sicher, alles gut. Die Überprüfung der vollständigen Nachweise steht jedoch noch aus. Die SES kritisiert diese vorauseilende positive Beurteilung.


Stellen Sie sich vor, eine Lehrerin bescheinigt ihrem Schüler eine Prüfung bestanden zu haben, noch bevor sie diese überhaupt korrigiert hat. Etwa so verhält es sich mit den Erdbebensicherheitsnachweisen der Schweizer AKW und dem ENSI. Die Atomaufsicht gab jüngst in einer Mitteilung bekannt, dass «alle Schweizer AKW die aktualisierten Erdbebensicherheit-Standards» erfüllen würden. Die neuen Standards hat die Atomaufsichtsbehörde nach der Fukushima-Katastrophe erarbeitet. Die nun vom ENSI publizierte Beurteilung basiert jedoch bloss auf einem ersten Teil der dreistufigen Nachweispflicht. Das – vorsichtig ausgedrückt – optimistische Urteil scheint vorschnell, doch reiht es sich harmonisch in die ENSI-Kommunikation der letzten Jahre ein. Denn Probleme gibt es durchaus.

AKW Beznau bis 2017 nicht erdbebensicher
Veranschaulicht am Fall Beznau: 2017 erkannte die Axpo, dass beim AKW Beznau vier von sechs erdbebensicheren Notstromdiesel nicht einsatzbereit waren. Dies obwohl 2015 vier neue autarke Notstromaggregate (Autanove) aufgestellt worden waren. Die Betreiberin Axpo beteuerte – und das ENSI segnete ab –, die Erdbebensicherheit sei jederzeit gewahrt gewesen und verwies auf die zwei zusätzlichen NANO-Diesel aus den 90er-Jahren. Bloss wären diese gar nicht einsatzbereit gewesen, wie sich nun herausstellt: Im Dezember 2020 machte das AKW Beznau wieder mit Notstromproblemen Schlagzeilen, «Montagefehler an zwei Notstromdieseln». Im Rahmen der Erbringung der Erdbebensicherheitsnachweise wurde klar, dass die zwei hochgelobten NANO-Diesel nicht wie dokumentiert montiert worden sind. Die benötigten Schockabsorber fehlten, der Dieseleinsatz hätte bei einem tatsächlich Erdbebenfall versagt. Gemäss Axpo wurden die Absorber zuletzt 2009/2010 ersetzt.

Erdbebensicherheit ein Zufallsprodukt?
Mindestens zwischen 2009 und 2017 wären im Falle eines starken Erdbebens möglicherweise sämtliche sechs Notstromdiesel ausgefallen – trotz Redundanz und Diversität. Das heisst: Null Erdbebensicherheit für Beznau während fast einem Jahrzehnt! Beide Fehler wurden per Zufall entdeckt, obwohl das ENSI 2012 den Nachweis der Erdbebensicherheit im Nachgang des Fukushima-Unglück eingefordert, als bestanden beurteilt sowie 2015 Autanove freigegeben hat. Der Fall wird noch brisanter, sollte sich herausstellen, dass die Absorber schon immer gefehlt haben: 48 Jahre ohne erdbebensichere Notstandsgeneratoren! Man erinnere sich: Erdbeben gehören in der Schweiz zu den Naturereignissen, die massgeblich zum Gesamtrisiko der AKW beitragen, schreibt das ENSI.

Lückenlose Aufklärung gefordert
Nach diesen Ereignissen stellt Simon Banholzer, Leiter Fachbereich Atomenergie bei der SES fest: «Egal wie teure und umfassende Nachrüstungen getätigt werden: der Mensch ist im Spiel und er macht gefährliche Fehler. Ein solches Versagen darf nicht ohne Konsequenzen bleiben.» Das ENSI erwähnt in der Stellungnahme zum Erdbebensicherheitsnachweis vom 5. Februar 2021 noch nicht einmal den Ausfall der Notstromaggregate zwischen 2009 und 2017. Trotzdem heisst es in der Schlussfolgerung des ENSI: «Die Kernkühlung und die Kühlung der Brennelementlagerbecken sind unter Einwirkung eines 10’000-jährlichen Erdbebens gewährleistet.» Die SES fordert vom ENSI eine lückenlose Aufklärung des Falls und Massnahmen gegen solch gravierende Missstände. Die SES behält sich weitere Schritte vor.

ENSI-Stellungnahmen zu den Erdbebensicherheitsnachweisen:

Chronologie der Erdbebensicherheitsnachweise

  • Nach der Fukushima-Katastrophe forderte die Atomaufsicht  2011 die AKW-Betreiber auf, innerhalb eines Jahres eine Neuüberprüfung der Erdbebensicherheit zu erbringen, die sich auf die wichtigsten Aspekte konzentrierte.
    Urteil des ENSI: Alle Schweizer Atomkraftwerke sind ausreichend gegen Erdbeben und dadurch verursachte Hochwasser geschützt. (ENSI 2012)
  • 2012 publizierte das ENSI die Erkenntnisse aus dem EU-Stresstest. Diverse Punkte seien aber noch offen.
    Urteil des ENSI: Die Sicherheit der Schweizer AKW ist bestätigt. (ENSI 10.01.2012)
  • Ende 2013 reichte der Dachverband der AKW-Betreiber swissnuclear eine neue Studie ein. Das ENSI äusserte Vorbehalte zu einem Teilprojekt, was in die neuen Erdbebengefährdungsannahmen einfloss.
  • 2016 legte das ENSI die neuen Vorgaben für Erdbebengefährdung für Schweizer AKW fest (sog. ENSI-2015). Bis Ende 2020 sollen sämtlich Kraftwerksbetreiber in einem dreiteiligen Prozess den Nachweis einreichen, dass deren Anlagen auch einem sehr seltenen beben standhalten. (ENSI 30.05.2016)
  • Im Februar 2021 publiziert das ENSI seine Stellungnahmen zu den aktualisierten Erdebennachweisen. Laut der Mitteilung wurde der erste Teil der geforderten Neubeurteilung überprüft, die Überprüfung restlichen zwei Teile ist noch ausstehend.
    Urteil des ENSI: Alle Schweizer AKW erfüllen die aktualisierten Erdbebensicherheit-Standards. (ENSI, 05.02.2021)

Kurze Geschichte zu Notstromproblemen

  • 2007 fiel im AKW Beznau wegen eines Defekts die interne und externe Notstromversorgung aus. Die verbleibenden Stromquellen (Flutdiesel und Wasserkraftwerk) waren nicht erdbebensicher.
  • 2015 wurde die Notstromversorgung Autanove nachgerüstet: Vier neue Notstrom-Diesel wurden erdbebenfest installiert.
  • 2017 stellte sich bei einer Systemverhaltensanalyse heraus, dass die vier Notstrom-Diesel im Erdbebenfall gar nicht einsatzfähig gewesen wären.
    Urteil Axpo – unter Aufsicht des ENSI: Die Sicherheit wäre gewährt gewesen. Die Betreiberin verweist auf die zwei weiteren Notstromdiesel NANO.
  • Im Dezember 2020 musste das AKW Beznau vom Netz, weil es bei den Notstromdieseln NANO «Abweichungen» gab: Die Schockabsorber waren nicht montiert, die Anlage entsprechend nicht erdbebensicher.
    Urteil Axpo – unter Aufsicht des ENSI: Die Sicherheit war gewährt (Medienmitteilung vom 09.12.2020). Die Betreiberin verweist auf die übrigen vier Notstromdiesel.

Urteil der SES: In der Zeit zwischen 2009 bis 2017 verfügte das AKW Beznau über Null Erdbebensicherheit.

Text: Schweizerische Energie-Stiftung

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1 Kommentare

Max Blatter

Hat man bei der Schweizerischen Energiestiftung SES (nicht zu verwechseln mit der "Schweizerischen Vereinigung für Sonnenenergie" SSES) schon mal von der Erkenntnis der Werbebranche gehört, wonach "eine schlechte Presse" die bessere Werbung sei als "keine Presse"?

Offenbar nicht; jedenfalls wird man bei der SES nicht müde, in diesem Sinn immer wieder jede Menge Gratis-Werbung für die Nuklearenergie zu machen.

Und, auch das muss gesagt sein: Die ee-news verbreiten die SES-Communiqués immer bereitwillig. Obwohl sie mit dem Thema "Erneuerbare Energien" nicht das Geringste zu tun haben.

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